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Christian Bösing
PREMIUM
20.02.2024 @ 16:09 Uhr
Digitalisierung und KI: Versäumnisse und Chancen
Die digitale Entwicklung schreitet unheimlich schnell voran und nicht nur unsere Branchen haben Schwierigkeiten, das Tempo mitzuhalten. Die eine Anforderung ist noch nicht mal zu allen durchgedrungen, da macht schon der nächste Trend die Runde.Wenn wir ehrlich sind, dann wurde die letzten Jahre mehr über Digitalisierung geschrieben und gesprochen und eine Umsetzung im Sinne des Endverbrauchers hat nicht wirklich stattgefunden. Damit ist z.B. eine wirkliche Verbesserung der Betreuungsqualität im Fitness und zweiten Gesundheitsmarkt durch sinnvolles Nutzen der Kundeninformationen gemeint. Was sind die Gründe dafür? Ist die Branche zu klein? Werden die Betreiberwünsche von Seiten der Industrie nicht ernst genommen und eher eigene Interessen verfolgt? Vielleicht fehlte auch eine klare Vorstellung bei den Entscheidern und der Industrie was denn Digitalisierung eigentlich ist oder bewirken soll? Die technische Möglichkeit, auf einem Laufband Musik zu hören oder Videos zu streamen verbessert sicherlich weder Training noch Trainingsmethode. Trotzdem sind derartige Nebensächlichkeiten die am ehesten sichtbaren und flächendeckend anzutreffenden Digitalisierungsmaßnahmen. Auf ähnliche Weise wurde alles, was mit Software und Technik zu tun hatte in den Digitalisierungs-Topf geworfen – vielleicht nur um die Entsprechende Förderung abzugreifen. Es mag nicht für jeden Einzelfall gelten, aber insgesamt dürfte die Kritik zutreffen, dass man mit selbst erwirtschafteten Finanzmitteln sorgsamer umgegangen wäre, d.h. zielstrebiger einen wirtschaftlichen wie auch medizinisch-sportlichen Nutzen verfolgt hätte. Zu einem Zeitpunkt da mit dem Schlagwort „KI“ vermeintlich neue Investitionen anstehen, sollten wir gelernt haben, nicht Investitionen kritischer zu sehen, sondern sie konsequenter auf eine Verbesserung unseres Dienstleistungs-Repertoires und damit unserer Produktivität zu konzeptionieren und dies dann auch zielstrebiger in der Praxis umzusetzen.
voll reingetappt!
Die Coronazeit hat gnadenlos aufgedeckt, dass es Versäumnisse im Bereich der Digitalisierung gab. Zahlreiche Einrichtungen und Anbieter konnten nicht kurzfristig auf online Angebote umstellen, die Zutrittslimitierung der Nutzer digital steuern, geschweige denn die Betreuung und Kommunikation via Studio- und Kunden App aufrechterhalten. An vielen Stellen musste nicht nur nachgebessert werden, sondern überhaupt erst für eine Infrastruktur aus Soft- und Hardware gesorgt werden. Zur Verteidigung muss man sagen, dass es auch in vielen anderen Branchen so gewesen zu sein scheint. Nicht umsonst wurde durch die Bundesregierung 2021 die Digitalisierungsförderung im Rahmen des Überbrückungsgeld III freigegeben. So konnten sich Unternehmen mit bis zu 20.000€ pro Standort für die digitale Aufrüstung auf Staatskosten fördern lassen. Im Nachhinein betrachtet hat aber nicht nur unsere Branche – ganz nach dem Beispiel staatlicher Verwaltungs- und Behördenstrukturen – vorgelebt, wie es nicht laufen sollte. Auf stattlicher Seite sind wir jetzt immerhin schon so weit, dass wir bis 2028 die Faxgeräte in Behörden und Ämtern abschaffen wollen.
Fairerweise muss man allerdings zwischen Fitness- und Gesundheitsdienstleistern differenzieren. So ist es hoffentlich nicht anmaßend, wenn man behauptet, dass in vielen Physiotherapieeinrichtungen noch deutlich analoger als in vielen Fitnesseinrichtungen gearbeitet wird. Für letztere war die Coronazeit ein Digitalisierungs-Booster und man kann rückblickend sagen, dass die Pandemie sehr viel Bewegung in das Thema gebracht hat, indem die Dienstleister teilweise sehr unangenehm gespürt haben, was es bedeutet, keine digital, d.h. vielmehr online basierten Prozesse zu haben.
Daten sammeln, aufbereiten und sinnvoll nutzen
Meine persönliche Definition einer optimalen Digitalisierung für Fitnessdienstleister ist nicht nur „nach Corona“, sondern vielmehr als stetige Herausforderung seine digitalen Prozesse und deren Umsetzung durch die verwendeten Softwarelösungen – also schlicht die verwendeten Apps – zu überprüfen. Das schafft wichtige Anhaltspunkte – und in diesem Sinne sollte man nicht nur die Defizite, sondern unbedingt auch die zufriedenstellend oder besser erbrachte Funktionalität in seine Betrachtungen einbeziehen.
Unter Berücksichtigung meiner Erfahrungen als Anwender, Verantwortlicher eines Softwareanbieters und als Branchenkenner möchte ich es so formulieren: Digitalisierung bedeutet sämtliche Kundendaten über Vernetzung der eingesetzten Systeme zentral zu sammeln, diese im Sinne der Kundenmerkmale, wie Vorlieben, Stärken und Schwächen, (Trainings-)Zielen, Einschränkungen usw. zu kategorisieren bzw. aufzubereiten, um sie dann für den Kunden zielführend und zielgerichtet zu verfolgen, im Optimalfall teil- bis vollautomatisiert.
Zu solch einem Konzept gehören drei Stufen der Umsetzung:
Daten zentral sammeln
Daten kundenspezifisch aufbereiten
Daten zielführend einsetzen.
Einheitliche Schnittstellen gibt es bis heute nicht!
Häufig scheitert es schon an Stufe 1, denn leider gibt es bis heute keinen einheitlichen und modernen Schnittstellenstandard in unserer Branche. Der wäre aber notwendig, um überhaupt einen Gesamtüberblick über Leistungsstand und Defizite des Probanden zu erhalten. Derzeit findet man vorwiegend individuell für die jeweiligen Geräte und Messmethoden spezifizierte Schnittstellen, so dass die Einbindung jedes neuen Fitness-Parameters erfordert, nicht nur mit dem Parameter selbst umzugehen, sondern zumindest für die marktgängigen Messgeräte und deren Softwaresysteme die jeweils proprietäre, also technisch wie inhaltlich individuell anders aufgebaute Schnittstelle einzubinden
Die Grundvoraussetzung für eine optimale Datenverarbeitung und die Vernetzung aller eingesetzten Systeme ist ein technisch einheitlicher Schnittstellenstandard – der entkoppelt von den übermittelten Inhalten zu sehen ist. Er sollte lediglich das Prozedere und – wir gehen mit sensiblen Gesundheitsdaten um – den Schutz des Datenaustauschs regeln.
Ein solcher Standard fehlt aber schmerzlich und selbst der eindringliche Wunsch zahlreicher Betreiber, nicht 3 bis 4 Softwaresysteme parallel einsetzen zu müssen, hat die Industrie dazu bewegen können, sich auf ein bidirektionales Austauschformat zu verständigen. Die Lösung ist auch nicht, dass sich einige Anbieter als das führende System sehen und fleißig Daten von zahlreichen Drittsystemen einsammeln. Diese Lösungen, da zu 90% nur eine Einbahnstraße, werden im Sinne der neutralen und unabhängigen Digitalisierung nie zielführend sein, denn Daten müssen immer in beide Richtungen ausgetauscht werden. Sonst bzw. eben aktuell anzutreffen wird immer das Produkt oder eine Hardware in den Mittelpunkt gestellt und nicht der Kunde mit seinen Merkmalen.
Wird der Softwarewechsel bewusst erschwert?
Weder die Idee noch die zugrundeliegende Erkenntnis sind neu. Auch die vom DIFG als neutrale Institution im Interesse sämtlicher Softwareanbieter verwaltete Branchenschnittstelle ist gescheitert. Vielleicht muss man hier auch den Finger in die Wunde legen und behaupten, dass sie vielleicht sogar gezielt von der Industrie verhindert wurde. Hier liegt die Vermutung nahe, dass eine gute Schnittstelle bzw. ein Austauschformat auch den Wechsel von meinem Softwareanbietern vereinfacht hätte. Schaut man auf vorliegende Umfrage, findet man, dass ca. 80% der Betreiber mit den eingesetzten Softwaresystemen unzufrieden sind. Eine derart schlechte Stimmung spielt mit Sicherheit eine Rolle bei den Entscheidern. Wenn der Wechsel des Softwareanbieters bedeutet, entweder die komplette Kundenhistorie womöglich noch auf Papier sichern zu müssen, oder das alte System quasi als Archiv weiter zu nutzen – und zu bezahlen, oder eben gar keinen Zugriff mehr auf die Historie zu haben, lebt es sich doch vielleicht „ganz gut“ mit den Schwächen der vorhandenen Software-Lösung. Ein Zustand, der den Status Quo einfriert und den Wettbewerb zu einem gewissen Teil außer Kraft setzt.
Stand heute ist, dass das Thema Schnittstelle in unserer Branche gescheitert i. Dadurch allerdings entwickeln sich Alternativen. So gibt es heute gute Dienstanbieter, wie z.B. IFTTT (If this than that) die den Austausch von Daten oder Befehlen zwischen verschiedenen Systemen einfach und kostengünstig ermöglichen. Es handelt sich um Systeme, die darauf ausgelegt sind, sich an vorhandene, herstellerspezifische Kommunikation anzupassen, und Informationen und Ereignisse weiterzuleiten. Quasi ein Schnittstellenstandard durch die Hintertür. Derartige Systeme ermöglichen sehr viel, wenn sie korrekt auf beide Seiten des Datenaustauschs konfiguriert wurden. Ideal ist es natürlich, wenn ein Software-Anbieter genau diese Konfiguration als Dienstleistung anbietet, so dass sich nicht der Studiobetreiber oder dessen IT-Hilfskraft in langen Nächten mit Api-Spezifikationen und sicheren Übertragungsformaten herumschlagen müssen.
Was muss meine Software können?
Die zweite Stufe meiner Digitalisierungsdefinition – die kundenspezifische Datenaufbereitung – kann und muss meine eingesetzte Business Software / CRM Lösung übernehmen. Hier ist es wichtig, die eingesetzten Softwarelösung so auszuwählen, dass sie auch die eigenen Vorstellungen, das Dienstleistungs- und Betreuungskonzept meines Unternehmens abbilden kann. Das bedingt allerdings auch, dass ich bereits ein Konzept habe und den Rahmen meines Dienstleistungsangebotes klar festgelegt habe, bevor die Software ausgewählt wird. Welche Kunden will ich ansprechen? Welche Angebote gibt es bei mir? Wie kann der Kunde die Angebote buchen? Wie will ich meine Kunden informieren? Wie individuell will ich meine Kunden betreuen? Habe ich die passenden Mitarbeiter, um das Konzept umzusetzen, und derlei Fragen mehr.
Wenn diese Punkte klar sind, kann ich gezielt nach einer Softwarelösung suchen, die meine Anforderungen umsetzt, oder vielmehr, die mich und nicht zu vergessen meine Mitarbeiter bei der Umsetzung unterstützt. Es ist nämlich auch nicht ratsam, einfach die „Eierlegende Wollmichsau“, den Erfüller aller Software-Wünsche, zu suchen. Das gibt es nicht, auch wenn es gerne versprochen wird – aus den oben geschilderten Umständen. Wieder ist die Frage, wie offen ist mein ausgewähltes System für Daten aus anderer Quelle ist. Können Daten aufgenommen werden oder – genauso wichtig – an andere System übertragen werden? Kann meine Kundenverwaltung, im besten Fall automatisiert, für meine Kunden und Interessenten auf Basis individuell vergebenen Kategorien oder Schlagwörtern Kundenprofile erstellen, die dann im CRM-Bereich in eine optimal abgestimmte Kunden- und Interessentenansprache umgesetzt werden? Und nicht zu vergessen: Ist mein CRM-System auch wirklich eine Hilfe für mich und meine Mitarbeiter, die den Kundenkontakt schließlich umsetzen müssen? Als Betreiber bin ich dafür verantwortlich, meine Mitarbeiter gezielt, also zum richtigen Zeitpunkt mit den jeweils benötigten Informationen zu versorgen. Das Ziel ist nicht eine prall gefüllte Aufgabenliste, sondern das Ziel ist erreicht, wenn die Aufgabenliste des Mitarbeiters schon vor dem Ende des Tages leer, nämlich erfolgreich abgearbeitet ist. Nur so funktioniert Kundenbindung und gutes Marketing.
Für die Auswahl der passenden Software, aber entscheidend und nicht zuletzt auch für die Einarbeitung – meine eigene als Entscheider genauso wie die meiner Mitarbeiter – sollte man sich Zeit nehmen und unbedingt auch einplanen, dass eine gute Kundenbetreuung vom Feedback nicht nur meiner Kunden, sondern auch meiner Mitarbeiter lebt. Wer glaubt, ein neues System einzuführen, an einem Wochenende die Konfiguration zusammen zu klicken, um dann in den Urlaub zu fahren, wird wohl mit jeder verfügbaren Software schlecht dastehen.
Ich glaube auch der zuweilen geäußerte Eindruck, dass der Markt sich auf wenige Anbieter konzentriere, täuscht aktuell: Es werden eher mehr Softwareanbieter als weniger, das heißt es wird bei der Entscheidung den passenden Anbieter zu finden, nicht einfacher. Ein gutes Onboarding ist ein must have, sowie ein guter Kundenservice der keinen Unterschied macht, ob ich 30 Standorte habe oder nur der Betreiber einer Microeinrichtung bin. Gerade der Betreiber kleiner Einrichtungen muss viel mehr Wert auf die individuellen Kundenwünsche legen und wird somit auch erheblich mehr individuelle Differenzierungen anbieten, als dass beispielsweise bei einer Kette der Fall sein dürfte. Eher wäre es so, dass eine ambitioniert an die Kundenbetreuung herangehende Kette auch nicht weniger Aufwand hat, als ein genauso ambitioniertes Micro-Studio.
Kunden passend ansprechen?
Stufe drei – sie kam im vorigen Abschnitt natürlich schon implizit zur Sprache – ist die Herausforderung, die aufbereiteten Daten so zu nutzen, dass der Kunde zum richtigen Zeitpunkt angesprochen wird. Egal ob mündlich, per Chat, per Klick oder automatisiert. Terminbestätigungen, Kursanmeldungen, Zahlungsaufforderungen, Studioauslastung, Motivationssprüche, Gesundheitsempfehlung, neue Angebote usw. Hier sollte neben der gezielten persönlichen Ansprache eine Kunden-App das zentrale Kommunikationstool sein. Emails und SMS sind eine gute Alternative reichen aber heute nicht mehr aus. Der Chat wird heute aber – tausende Emoticons sind Beweis genug – als praktisch gleichwertig zur persönlichen Ansprache betrachtet. Das Smartphone ist immer dabei und ist ein wichtiges Bindeglied zum eigenen Freundeskreis. Den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen bedeutet daher auch, das Smartphone und die App als Kommunikationsmedium zu nutzen. Es hat sich in allen Altersgruppen derart durchgesetzt, dass diejenigen Mitbürger, die es bislang nicht nutzen, letztendlich kaum in vergleichbarer Qualität ansprechbar wären. Um diese abzuholen bleibt dann nur das Telefon oder die persönliche Ansprache – in der Annahme dass jemand der ein Smartphone ablehnt wohl auch per Email nicht gut ansprechbar ist.
„Die einzige Möglichkeit, Menschen zu motivieren, ist die Kommunikation“ Lee Lacocca
FAZIT: KI sinnvoll nutzen und genau hinschauen!
Was können wir aus den letzten Jahren lernen? Wir waren nicht so gut aufgestellt wie gedacht!
Ja, alles was digitalisiert werden kann wird digitalisiert, aber ein guter Trainer oder Therapeut wird in der individuellen Betreuung nicht ersetzbar sein.
Zusätzlich würde ich auch die Prognose abgeben, das gerade nach den letzten Jahren der Isolation, dem Homeoffice-Phänomen und Kontaktreduzierung, die Menschen sich vor allem nach dem persönlichen Kontakt sehnen werden. Daher sollten wir auch nicht den Fehler machen die KI als Bedrohung zu sehen, sondern ganz im Gegenteil darauf schauen, kann ich diese sinnvoll einsetzen kann. Die KI wird gute Trainingspläne schreiben, aber weder so motivierende Worte finden, wie mein Coach, noch derart genau auf meine ganz individuelle Problemstellung eingehen können. Schließlich ist das, was aktuell unter dem Schlagwort KI die Runde macht, nur antrainiertes Wissen, quasi die Summe der Erfahrungen aus den Kunden zuvor. Der ambitionierte Coach aber hat dieses Wissen auch, aber nur sie oder er wird in der Lage sein, den 80% Trainingsplan durch individuelle Anpassungen, Motivation und Förderung, in 100%, ja 120% Trainingserfolg umzusetzen.
Ähnlich wie das Schlagwort KI hat unsere Branche auch Tracker und Wearables viel zu lange als Bedrohung gesehen, anstatt diese rechtzeitig in die Betreuungskonzepte zu integrieren. Sie sind zu einem gewissen Teil motivierend, aber hauptsächlich eine Trainingshilfe- und ein wichtiger Daten-Lieferant.
Ich würde mit dem Hinweis schließen, dass nicht überall wo KI draufsteht, das enthalten ist was man für KI halten mag. In weiten Teilen ist es aktuell vor allem ein gutes Marketing-Zugpferd.
Autor
Tino Heidötting ist Gesundheitsexperte und seit über 22 Jahren
Inhaber und Geschäftsführer der Firma medo.check, dem Anbieter
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